Abitur: Prosa - Erzählerische Gestaltung

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Der Text, der dir vorliegt, ist das Produkt eines Autors. Zeige die Gestaltungsmöglichkeiten, die er eingesetzt hat.

Die Erzählperspektive wird oft als die Stimme bezeichnet, die dem Leser die Geschichte erzählt. Aber Achtung: Der Erzähler, also die Stimme der Geschichte, ist mit dem Autor, dem Erschaffer der Geschichte, nicht identisch. Vielmehr ist der Erzähler mit einer weiteren Figur vergleichbar, die der Imagination des Autors entspringt und sich mal mehr, mal weniger als solche bemerkbar macht. Sie beobachtet Geschehen aus einer bestimmten Perspektive und berichtet dir als Leser wie ein Zeuge davon.

Meist wird in der Er-Form erzählt. Die wichtigsten Erzählperspektiven sind:

  • auktorialer Erzähler: Oft auch allwissender oder olympischer Erzähler genannt, der über den Dingen steht und Zusammenhänge kennt - von denen die Figuren oft nichts wissen. Zudem gibt er immer wieder wertende Kommentare ab (!) und ist in der Lage, durch Rückblicke oder Vorausdeutungen das aktuelle Geschehen einzuordnen.
  • personaler Erzähler: Hier begleitet der Erzähler eine Figur auf seinem Schicksalsweg und gibt seine Wahrnehmung und Gedanken wieder. Meist kann man sich als Leser gut mit der Figur identifizieren -die Distanz zum Geschehen ist im Vergleich zur auktorialen Erzählweise deutlich geringer. Dass der personalen Erzählers die Perspektive - also damit auch die Figur - wechselt ist kommt recht häufig vor.

Wird in der Ich-Form erzählt, handelt es ich um einen Ich-Erzähler, der sowohl die personale als auch die auktoriale Perspektive einnehmen kann (Hätte ich zu diesem Zeitpunkt schon gewusst, dass der Urlaub ein wahrer Horror-Trip wird, hätte ich mich niemals überreden lassen.)

  • Erzählerbericht
    1. fiktionaler Bericht
    2. szenische Darstellung
    3. Beschreibung
    4. Reflexion
  • Personenrede
    1. ausgesprochene Gedanken
      1. direkte Rede
      2. indirekte Rede
    2. unausgesprochene Gedanken
      1. erlebte Rede
      2. innerer Monolog
      3. Bewusstseinsstrom

Verhältnis von erzählter Zeit zu Erzählzeit:

  • Zeitdeckung
  • Zeitsprünge
  • Vorausschau, Vorahnung, Ausblick
  • Rückblick, Flashback
  • Zeiraffungen
  • Zeitdehnung

Symbolik der Zeit / des Moments:

  • Tageszeit, Jahreszeit, Science Fiction, historischer Roman etc.
  • Transfer von Tageszeit oder Jahreszeit auf das Leben des Menschen
  • Aufbruchsstimmung am Morgen
  • Zeit zur Reflexion am Abend
  • Handlungsraum,
  • Stimmungsraum
  • Perspektivraum
  • Kontrastraum
  • Symbolraum
  • Orte im Vergleich zueinander
  • Symbolträchtige Räume

Anregungen:

  • weite Landschaft / enger Raum
  • Wetter
  • Blick nach draußen/innnen
  • Störende Elemente in einem best. Raum
  • vertrauter Raum / fremder Raum
  • angenehm / feindselig
  • kalt / warm
  • Realität / Märchen, Traum, Vision
  • Zukunft / Vergangenheit / Gegenwart

Der Textausschnitt ist durchgehend in der Er-Form verfasst und das Geschehen wird meist durch einen personalen Erzähler aus der Perspektive von Fred erzählt. Der Leser begleitet Fred bei seiner Ankunft in Berlin und auf dem Weg zum Hotel. Nahezu unmittelbar erfährt man die Eindrücke, die auf Fred, den jungen Mann aus der Provinz, einwirken. Er lauscht irritiert der Auseinandersetzung wegen der Currywurst, bewundert das „glitzernde“ (Z.100) Treiben auf dem Ku’damm und bemerkt den Mundgeruch des Hoteliers. Unterbrochen wird das personale Erzählverhalten jedoch immer wieder durch einordnende Kommentare eines auktorialen Erzählers. So ist der „Boulevard“ (Z.95) zwar für Fred ein beeindruckendes Erlebnis mit seinem bunten Gewusel (vgl. Z.103) und den faszinierenden Tanzlokalen, aber auch nur deshalb, weil Fred vier Jahre Gefängnisruhe hinter sich hat (vgl. Z.99) und offenbar noch nie einer Großstadt war. Fred wirkt wie ein Dorftrottel, der von der Veränderung der Welt nichts mitbekommen hat und sich nun im Großstadtdschungel zurechtfinden muss.

Erzählerisch wird dieser Orientierungsprozess vor allem in den zahlreichen Passagen gezeigt, in denen die Umwelt von Fred und seine Wahrnehmung beschrieben werden. In szenischen Darstellungen erfährt man von der engen, urinfarbigen Treppe im Bahnhof (vgl. Z.16), vom Vorplatz mit den „Fixern, Strichern und Besoffenen“ (Z.26), aber vor allem von dem lebhaften Treiben auf dem Kurfürstendamm, wo sich Fred sofort heimisch fühlt – als hätte Berlin nur auf ihn gewartet.

Wer ganz offensichtlich nicht bereit ist zu waren, ist der zweite Taxifahrer, auf den Fred trifft. Deren Dialog, der sich sehr schnell zu einen Monolog des Taxifahrers wandelt, wird in einer umfangreichen direkten Rede wiedergegeben. Der Berliner spricht ununterbrochen und lässt dem vorsichtigen Fred (vgl. Z.62) keine Chance, sein eigentliches Anliegen vorzutragen. Stattdessen wird mit einem lauten „Peng!“ (Z.64) die Kofferraumklappe geschlossen und das Gespräch beendet.

Fred lernt aus den Begegnungen jedoch recht schnell und ändert seine Strategie im Umgang mit fremden Menschen aus der Großstadt, sodass er letztendlich den Weg zu Hotel erfährt und in die angegebenen Richtung aufbricht. Seine gute Laune und sein Übermut, die bereits beim Aussteigen aus dem Zug durch eine erlebte Rede sichtbar wird („Magic Hoffman legte keiner so schnell rein!“, Z.3-4), haben offenbar nur einen kurzen Dämpfer erhalten. Denn kaum hat er sich mit bunten Treiben um ihn herum angefreundet, schon schießen ihm ähnliche Gedanken wie am Anfang durch den Kopf: „Fred is in town!“ (Z.105), „Hier tobte das Leben“ (Z.113) oder „Fred im Glück“ (Z.142).

Auffallend ist der starke Kontrast zwischen dem lauten Berlin draußen mit seinem Verkehrslärm, dem Baustellenhämmern und den seltsamen Sprachfetzen (vgl. Z.84) und dem nahezu lautlosen Hotelflur drinnen, in den „weder Stimmen noch andere Geräusche“ (Z.156-157) drangen. Hier und wenig später in seinem Hotelzimmer ermöglicht ihn dieser Stimmungsraum etwas zur Ruhe zu kommen und in alten Erinnerungen zu schwelgen. Dass die Straßen nur für Fred so faszinierend sind und mit seiner aufgedrehten Stimmung korrelieren, aus der Sicht des Erzählers jedoch nur „ein bisschen breiter als üblich, ein bisschen häßlicher als nötig“ (Z.97-98) sind, lässt die Beschreibung des Ku’damms als Perspektivraum einordnen.

Das Geschehen wird in dem Ausschnitt in weiten Teilen zeitdeckend beschrieben. Besonders deutlich wird dies beispielsweise, als er sich mit den Taxifahrern unterhält bzw. als er vom zweiten Fahrer über die berlinerischen Gepflogenheiten belehrt wird. Die Wechsel der Handlungsorte sind meist mit nur wenige Minuten umspannenden Zeitsprüngen verbunden, sodass vorwiegend die Situationen beschrieben werden, in denen Fred neue Eindrücke verarbeiten und sich zurechtfinden muss. Fred ist fest davon überzeugt, dass ihm das sehr gut gelingt. Und so blickt er mit Spott zurück auf die „Bauern“ (Z.111) von Dieburg, die ihn wie einen Aussätzigen behandelt hatten, in Wirklichkeit jedoch – ihn Gegensatz zu ihm – keine Ahnung von der „großen, weiten Welt“ (Z.111-112) haben.

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  • Zuletzt geändert: 2021/11/28 10:26
  • von pz